FAQ BIEL/BIENNE
Was verlangt die Mindestlohn-Initiative?
Die Initiative verlangt einen sozialpolitisch begründeten gesetzlichen Mindestlohn von brutto 23.80 Franken pro Stunde für alle Arbeitnehmenden, die vollumfänglich oder mehrheitlich in der Stadt Biel tätig sind. Hinzu kommen Ferien- und Feiertagsentschädigungen. Der Mindestlohn kann in 13 Monatslöhnen ausbezahlt werden. Er richtet sich nach den kantonalen gesetzlichen Vorgaben und orientiert sich in seiner Ausgestaltung an jenem in den Städten Zürich und Winterthur.
Warum braucht es einen städtischen Mindestlohn?
In der Stadt Biel erhalten ca. 2‘000 Personen bei einem 100%-Pensum einen Monatslohn von unter 4‘000 Franken. Das reicht kaum zum Leben. Die Summe der Ergänzungsleistungen im Kanton Bern und der entsprechenden Lohnabzüge für Sozialversicherungen beläuft sich auf rund 4’300 Franken. Daran orientiert sich der Stundenlohn von 23.80 Franken. Ziel ist, dass alle ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bestreiten können und niemand trotz Arbeit in die Armut getrieben wird.
Wer ist von Tiefstlöhnen betroffen?
In der Schweiz leben rund 157‘000 Working Poor. Sie arbeiten im Detailhandel, in der Gastronomie, in der Reinigung, im Coiffeur- und Kosmetikgewerbe oder in der Logistikbranche, sind häufig von Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit sowie von „Arbeit auf Abruf“ betroffen und müssen oft mehrere Jobs ausüben. Auch im Alter haben sie meist nicht genug zum Leben, weil ihnen eine nur geringe Rente zur Verfügung steht. Betroffen sind vor allem Frauen. Doppelt so viele Frauen wie Männer erhalten Tieflöhne. In diesem Bereich zeigt sich die Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau am deutlichsten.
Ist es nicht normal, dass Junge noch nicht so viel verdienen?
Auch Junge haben Anrecht auf existenzsichernde Löhne. Das Problem ist, dass Tieflöhne die Betroffenen das ganze Berufsleben begleiten. Mehr als 60% der Tieflohnbeziehenden sind älter als 30 Jahre. Das ist für die Menschen – ob Jung oder Alt – sehr belastend. Ein Besuch im Kino oder im Restaurant mit der Familie wird so unbezahlbar. Alles leidet darunter.
Wie sind die Erfahrungen mit gesetzlichen Mindestlöhnen?
Positiv, in der Schweiz wie auch im Ausland: Der Mindestlohn verhilft vielen Menschen zu einem anständigen Leben, verringert Ungleichheit und Armut und entlastet die Sozialhilfe. Das zeigt sich etwa im Kanton Genf: Im Tieflohn-Sektor verbesserte sich das Einkommen von über 30‘000 Arbeitnehmenden, ohne dass es zu nennenswerten Entlassungen kam.
Führt der Mindestlohn zu höherer Arbeitslosigkeit?
Nein. Viele wissenschaftliche Studien belegen, dass Mindestlöhne keine höhere Arbeitslosigkeit verursachen. Das zeigt sich auch in Genf: Die Beschäftigungslage entwickelt sich dort genau gleich wie im Nachbarkanton Waadt, wo es noch keinen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Im Übrigen herrscht heute in der Schweiz ein Fachkräftemangel, auch im Tieflohn-Sektor.
Schaden Mindestlöhne der Wirtschaft?
Nein. 2021 erhielt der Ökonom David Card den Nobelpreis, dessen Forschung aufzeigt, dass Mindestlöhne keine negativen wirtschaftlichen Auswirkungen haben. Vielmehr verbessern Mindestlöhne die Kaufkraft der unteren Lohnsegmente und stimulieren die Nachfrage und den Konsum. Auch schaffen sie Anreize für Investitionen in Technologie und Bildung, weil menschliche Arbeit mit dem Mindestlohn zu einer wertvolleren Ressource wird.
Darf die Stadt Biel überhaupt einen Mindestlohn erlassen?
Das Bundesgericht hat in einem Entscheid zum Neuenburger Mindestlohn dargelegt, dass Kantone die Kompetenz haben, Mindestlöhne einzuführen. Rechtsgutachten für die Städte Zürich, Winterthur und Bern bestätigen, dass auch die Gemeinden diese Kompetenz haben können. Trotzdem blockieren Wirtschaftsverbände den gesetzlichen Mindestlohn in Zürich und Winterthur mit juristischer Verzögerungstaktik.
Wie wird die Einhaltung des Mindestlohns durchgesetzt?
Mit Kontrollen durch die Stadt, die von den Sozialpartnern unterstützt wird (tripartite Kommission). Bei strafrechtlich relevanten Fällen kann es zu Anzeigen und zu Bussgeldern kommen. In schweren und wiederholten Fällen kann ein Unternehmen bis zu fünf Jahren von der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen und Aufträgen ausgeschlossen werden.